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Selbstorganisation ist kein Hobby

| Andreas Kellner

Selbstorganisation ist kein Hobby

Lesezeit ca. 3:30 min

Warum gibt es jeden Tag 10 neue Apps, die uns Hilfe bei Selbstorganisation, Zeitmanagement, Priorisierung und Co. versprechen? Warum hat Gmail in Standard-Einstellungen unzählige “Tabs”? Warum besitzt Outlook eine konfigurierbare Startseite?

Die Antwort scheint mir in allen Fällen zu sein: Selbstorganisation, Zeitmanagement und Co. sind Dinge, mit denen sich die wenigsten Menschen freiwillig beschäftigen – das gilt übrigens auch für mich. Eine Möglichkeit, diese Hürde zu überwinden, ist, diese unangenehmen Pflichtübungen so weit wie möglich an Werkzeuge zu delegieren.

 

Das “Shiny Object Syndrome” in der Selbstorganisation

Das Versprechen der meisten Werkzeuge ist, dass sie uns die Arbeit erleichtern. Aber Werkzeuge leisten zunächst einmal etwas anderes:

Wenn Design, Verpackung und Präsentation stimmen, lässt sich beim Marketing des jeweiligen Werkzeugs auf das sogenannte “Shiny Object Syndrome” (“Glänzendes Objekt-Syndrom”) bauen.

Dieser schöne Begriff umschreibt im Prinzip das Gefühl, das Kinder dazu bringt, ihre gerade ausgepackten Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke am Abend mit ins Bett nehmen zu wollen – auch wenn das Geschenk zwei Räder, Pedale und eine Klingel besitzt.

 

Stift oder iPhone?

Die Werkzeuge Blatt Papier und Stift haben daher natürlich weniger gute Chancen, als eine besonders schön gemachte App auf dem iPhone (das “shiny object” schlechthin) oder ein E-Mail-Programm, das durch zahlreiche “effizienzsteigernde” Zusatzfunktionen suggeriert, dass sich E-Mails ab sofort eigentlich von selbst lesen und schreiben.

Unterstützt wird das alles noch durch den besonderen Zauber des Neuen – gerade, wenn man mit seinem alten Werkzeug irgendwie doch nie so recht klargekommen ist; auch wenn das vielleicht gar nicht am Werkzeug lag.

 

Selbstorganisation: Von der Notwendigkeit zum Trend?

Was passiert also? Die unangenehme Notwendigkeit, uns besser zu organisieren, wird verwandelt. Und zwar in etwas, das gut aussieht, sich gut anfühlt, neu ist und genug Funktionen besitzt, dass wir es zu unserem Hobby machen können. Und Werkzeuge geben tolle Hobbies ab!

Ich bin zum Beispiel immer gern dabei, wenn es darum geht, in Photoshop irgendeinen Entwurf direkt selbst zu “verbessern”, sei es für eine Website oder für ein Buch-Cover. Macht mir das Spaß? Ja. Fühlt sich das nach Arbeit an? Nein. Kommt etwas dabei heraus? Meistens schon. Brauche ich dazu doppelt so lange, wie ich sollte und verzettle mich unnötig in Details? Eigentlich immer.

 

Der Kult ums Werkzeug

Der Punkt ist: Werkzeuge für Selbstorganisation sind “in”, denn Werkzeuge versprechen Effizienz und eben auch “Spielwert” (siehe den Trend zur “Gamification” allerorten). Dagegen ist im Grundsatz nichts zu sagen und in der Tat ist Effizienz-Steigerung sinnvoller Bestandteil einer besseren Selbstorganisation.

Aber diese “Verwandlung” vom hässlichen Entlein Selbstorganisation in den sexy Schwan aus dem App-Store birgt Probleme: Zum einen ist das erste, was aus dem Fenster geht, wenn ein Werkzeug zum Hobby wird, die Effizienz. Oder schauen Sie auf die Uhr, wenn Sie Ihrem Hobby nachgehen?

Wichtiger noch: Die Effizienz, also die richtige Art, etwas zu tun, ist gar nicht das erste Ziel, wenn es darum geht, uns besser zu organisieren.

Das erste Ziel ist Effektivität, also der Fokus darauf, die richtigen Dinge zu tun.

 

Effektivität oder Effizienz: Was kommt zuerst?

Was heißt das konkret? Nehmen wir an, Sie haben beschlossen, ein Projekt, das Ihnen wichtig ist, das aber neben Tagesgeschäft nie eine echte Chance hatte, endlich zum Ende zu führen. Und nehmen wir weiter an, Sie wollen das erreichen, indem Sie sich und Ihren Alltag ab sofort besser organisieren. Ihr Ziel ist damit die Fertigstellung des Projekts, Punkt.

Bessere Selbstorganisation heißt dann, dafür zu sorgen, dass Sie das, was nötig ist, um dieses Ziel zu erreichen, auch wirklich tun. Dass Sie dabei auch effizient sind, also das Ziel z.B. mit minimalen zeitlichen oder finanziellen Ressourcen erreichen, kann ebenfalls sehr wichtig sein. Aber die Effizienz steht nicht an erster, sondern an zweiter Stelle.

Wie man in den USA sagt: “If you want to finish first, you first have to finish.” (“Wenn Du als erster ins Ziel kommen willst, musst Du erst einmal überhaupt ins Ziel kommen.”)

 

Selbstorganisation: Zurück zur Notwendigkeit

Sich selbst und Ihren Tag so weit in den Griff zu bekommen, dass Sie tatsächlich an der Verwirklichung Ihrer Ziele arbeiten, ist der entscheidende Schritt. Wenn Sie den gegangen sind, spricht nichts dagegen (und viel dafür), sich mit Effizienzsteigerung – z.B. durch bessere Werkzeuge oder Optimierung ihrer Verwendung – zu beschäftigen.

Natürlich kann Selbstorganisation ein Ziel an sich sein und von mir aus auch ein Hobby. Für all diejenigen unter uns, die sich aus anderen Gründen besser organisieren wollen (Ziele erreichen, Tag in den Griff bekommen, Stress reduzieren usw.), ist Selbstorganisation Notwendigkeit und daran führt uns auch kein so schönes Werkzeug vorbei.

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